Günter Breitenberger ist Mitarbeiter bei Gelsenwasser – und hat ein außergewöhnliches Schicksal. Seit einigen Monaten schlägt in seiner Brust das Herz eines anderen Menschen. Mit einer Organspende begann für ihn ein neues Leben!
Eigentlich hat Günter Breitenberger im März Geburtstag. Doch ab sofort feiert er am 6. Mai ein zweites Mal. Als er an diesem Tag früh morgens in den Operationssaal des Herzklinikums Bad Oeynhausen geschoben wird, weiß er: Jetzt wird sich alles verändern, zum Guten oder zum Schlechten, leben oder sterben. Denn an diesem Tag transplantieren die Ärzte das Herz eines fremden Menschen in seine Brust. Als er 24 Stunden später aus der Narkose aufwacht, tastet er sofort an seiner Seite nach dem VAD. Die künstliche Herzpumpe mit den externen Akkus hatte ihn bis dato am Leben gehalten. Sie war weg! „Da wusste ich, dass die Transplantation geklappt hat“, erinnert sich Günter Breitenberger. Und so beginnt am 6. Mai 2017 sein zweites Leben. Durch die Organspende hat seine jahrelange Leidensgeschichte eine gute Wendung genommen! Noch am gleichen Tag konnte er von der Intensivstation seine Frau anrufen und begrüßte sie mit der Worten: „Hallo Schatz, da bin ich wieder.“
Was ist ein VAD?
VAD steht für Ventricular Assist Device – ein Herzunterstützungssystem. Wenn das Herz nicht mehr richtig arbeiten kann, hilft eine solche mechanische Pumpe. Diese wird an einer Herzkammer angebracht. Ein Kabel führt dann aus dem Körper raus zu einer Steuereinheit, die die Pumpe kontrolliert und mit Energie versorgt. Den Mini-Computer tragen die Patienten in einer Tasche mit sich, inklusive Akkus.
694 Tage mit einer Metallpumpe am Herzen
„694 Tage – so lange hatte ich die Metallpumpe an meinem Herzen“, erzählt Günter Breitenberger. „Sie hat mich am Leben gehalten.“ Deshalb hat er sich die Pumpe auch nach der Herztransplantation geben lassen – als Erinnerungsstück. „Manche Herzpatienten leben Jahre mit VAD“, weiß er. Im Juni 2015 implantieren Spezialisten des Herzzentrums Bad Oeynhausen das System, weil sich Breitenbergers Gesundheitszustand radikal verschlechtert hatte. „Mein Herz hatte nur noch etwa zehn Prozent Leistung“, erinnert er sich. „Ich kam gerade noch vom Bett zur Couch, aber das war es auch. Ein normales Leben war gar nicht mehr möglich.“
Der Kampf begann mit einer verschleppten Lungenentzündung
Bereits seit 2011 kämpfte der Familienvater mit seiner schweren Herzerkrankung – „die Folge einer verschleppten Lungenentzündung, die auf den Herzmuskel schlug“. Mit Medikamenten bekamen seine Ärzte die Erkrankung zunächst in den Griff, doch die Nebenwirkungen waren irgendwann zu stark. 2014 musste er die Medikamente absetzen, sein Zustand verschlechterte sich dramatisch. Im Mai 2015 wurde klar, dass er ein neues Herz benötigt. Er kam auf die Liste von Eurotransplant, doch die Wartezeit für ein passendes Spenderherz kann lang werden. Zeit, die Günter Breitenberger nicht hatte.
Schon gewusst?
Rund 100 Tage beträgt im Schnitt die Wartezeit auf ein Spenderherz bei Patienten, die als „hoch dringlich“ (HU) eingestuft werden. Nicht wenige warten aber Jahre.
Mit dem VAD verschafften die Ärzte Günter Breitenberger deshalb ein Leben auf Zeit. „Damit konnte ich auch wieder aus dem Haus gehen, am Alltag teilnehmen.“ Zwar nicht, ohne das Steuerelement samt Akku sowie Ersatz-Akku mitzunehmen, aber es war ein kleiner Erfolg im Kampf um ein bisschen Normalität und Familienleben im Alltag. Doch mit VAD wurde er auf der Transplantationsliste nicht mehr als HU-Patient geführt – das Warten auf ein Spenderherz ging weiter.
Monatelang von der Familie getrennt
Doch dann bildete sich eine Entzündung an der künstlichen (Herz)Pumpe. Ab Januar 2017 musste Günter Breitenberger immer wieder starke Antibiotika nehmen, erlitt sogar einen leichten Schlaganfall. „Da war klar, dass ich dringend ein Spenderherz brauche.“ Er wurde als „hoch dringlich“ auf die Warteliste gesetzt – um kurze Zeit später ganz von der Liste gestrichen zu werden. „Es hatte sich ein Blutgerinnsel in meinem Kopf gebildet. Damit war eine so schwere Operation wie eine Transplantation unmöglich“, erzählt er. Es dauerte fast sieben Wochen, bis es den Ärzten gelungen war, das Gerinnsel aufzulösen. Wieder wurde er als „hoch dringlich“ auf die Warteliste gesetzt und blieb weiter im Herzzentrum in Bad Oeynhausen. Seine Frau und seine beiden Töchter waren zuhause in Wetter, monatelang war die Familie getrennt, Besuche in steriler Kleidung und mit Atemschutz waren die einzigen Begegnungen mit Ehefrau und Kindern. Hoffnungslosigkeit machte sich breit.
Mitten in der Nacht kam die Nachricht: Es gibt ein Herz!
Doch am 6. Mai 2017 weckte ihn mitten in der Nacht die Krankenschwester: „Wir haben ein Herz für Sie.“ Günter Breitenberger rief schnell noch seine Familie an, schon am Morgen lag er im Operationssaal. Zunächst wurde das VAD entfernt, dann das neue Herz implantiert. Das Herz war mit dem Auto aus der Nähe gebracht worden, so viel wusste Günter Breitenberger damals. „Da ist Eile geboten, denn ein Herz sollte vier bis sechs Stunden nach der Entnahme wieder eingesetzt werden. Bis dahin wird es gekühlt und mit einer Flüssigkeit gefüllt. „Ich war so froh, als es endlich los ging“, erinnert er sich an diese besondere Nacht. „Angst hatte ich nicht, ich habe den Ärzten vertraut.“
Als ihm nach dem Aufwachen klar war, dass die Transplantation geklappt hatte, „war das ein Gefühl wie unter einer warmen kuscheligen Decke“. Die künstliche Pumpe habe gedrückt, er habe sie gespürt, das Geräusch gehört. „Das neue Herz fühlte sich sofort echt an, nicht wie eine Maschine. Das war unbeschreiblich!“ Zum ersten Mal fühlte er selbst wieder den eigenen Herzschlag und Puls. „Ich bekam sofort wieder Luft, konnte atmen.“
„Das VAD war ein kleiner Gewinn; das Herz ist mein Hauptgewinn!“
Erst mal heiß duschen
Die ersten Wochen nach der OP verbrachte Günter Breitenberger auf der Intensivstation, nach einer Woche konnte er umherlaufen. „Die Zeit danach ist schmerzhaft“, berichtet er. „Da man starke Medikamente bekommt, um das Immunsystem herunterzufahren, ist nur wenig Besuch erlaubt.“ Die Immunsuppression ist notwendig, damit der Körper das fremde Herz nicht abstößt. Vier Wochen nach der Transplantation durfte Günter Breitenberger endlich nach Hause. „Das Tollste war die erste Dusche“, erinnert er sich. „Wegen des VAD konnte ich zwei Jahre nicht duschen, da habe ich erstmal eineinhalb Stunden heiß geduscht.“
Sein neues Herz nennt Günter Breitenberger übrigens Sefay – nach der Krankenschwester, die ihn in Bad Oeynhausen betreute und ihn auch in der Nacht am 6. Mai 2017 mit der Nachricht weckte.
Die Familie findet wieder zusammen
Inzwischen hat er gemeinsam mit seiner Familie den ersten Urlaub seines neuen Lebens gemacht. „Die Ungewissheit hat an der Familie gezehrt. Das war eine Extremsituation und ich war vor lauter Angst manchmal extrem schwierig. Jetzt normalisiert sich unser Leben endlich wieder und die Familie findet zueinander.“ Zwar gibt es immer noch Einschränkungen, aber die erscheinen jedem, der Günter Breitenberger und seine Geschichte kennenlernt, als unwichtige Kleinigkeiten. „Ich lebe, der 6. Mai 2017 ist mein zweiter Geburtstag“, sagt er selbst. „Vieles hat sich verändert, meine ganze Lebenseinstellung, der Blick auf das Leben ist ein anderer.“
Heute ist eine lange Narbe stummer Zeuge der sechseinhalbstündigen Operation, die Günter Breitenberger das Leben rettete. Ob er sich irgendwann mal an die Angehörigen des Spenders wenden wird, weiß er noch nicht. Erst einmal braucht er emotionalen Abstand. „Das Herz ist gesund und kräftig, und ich bin unendlich dankbar für die Organspende“, sagt er heute, rund sieben Monate nach der Transplantation.
Interview über Organspende in Deutschland
“Das Problem liegt nicht bei der Bevölkerung!”
Zur Person
Hans J. Schmolke kommt aus Velbert und setzt sich für herzkranke und organtransplantierte Menschen ein. Dafür wurde er mit dem LVR-Ehrenpreis für soziales Engagement ausgezeichnet. Er hat 2000 selbst ein Spenderherz bekommen. Seitdem engagiert er sich mit der „Selbsthilfe Organtransplantierter NRW“.
Die Zahl der Organspender ist in Deutschland sehr niedrig. Obwohl die meisten Menschen Organspende gut finden. Woher kommt das?
„Das Problem liegt nicht bei der Bevölkerung! Die Menschen sind positiv eingestellt, obwohl der Organspende-Skandal von 2012 noch im Kopf sitzt. Die Medien tragen das Negativ-Image leider oft weiter. Viel relevanter ist der Gesetzgeber: Die Bundesärztekammer hat durch die erweiterten Regeln der Hirntotdiagnostik Probleme geschaffen. Diese ist äußerst komplex und muss von zwei Neurologen unabhängig voneinander durchgeführt werden. Es gibt nicht genug Neurologen, die das dürfen. Zum Weiteren haben Krankenhäuser, bei denen der Organspender liegt, ein Kostenproblem. Die Krankenkasse stellt in Moment des Todes die Zahlungen ein – der Organspender muss aber bis zu 72 Stunden weiter intensivmedizinisch versorgt werden. Dann springt zwar die DSO – Deutsche Stiftung Organspende – ein, aber das deckt nur einen Teil der Kosten.“
Wie kann man aus Ihrer Erfahrung heraus Menschen dazu bewegen, über einen Organspenderausweis zumindest nachzudenken? Was müsste sich möglicherweise ändern?
„Es gibt die Entscheidungslösung in Deutschland, die ist nicht das Schlechteste. Vielleicht gäbe es eine Verbesserung mit der Widerspruchslösung, aber ich persönlich glaube das nicht. Die Politik müsste sich bewegen, aber das wird vorerst nicht passieren. Grundsätzlich braucht die Organspende eine andere, bessere Lobby. Das geht am besten, wenn Menschen wie Günter Breitenberger ihre Geschichten erzählen. Das Wichtigste ist, dass Menschen über Organspende nachdenken.“
Bei Gelsenwasser bewegt uns die Geschichte von Günter Breitenberger. Sie haben schon viele Menschen wie ihn bei der Organtransplantation begleitet. Was war dabei das prägendste Erlebnis für Sie persönlich?
Jede Geschichte ist anders, jede hat ihre eigene Dramatik. Unterm Strich ist jedes Schicksal eines Organtransplantierten, das ich in über zwölf Jahren erlebt habe, einzigartig. Es gibt aber besonders bewegende Momente mit Kindern, die mich prägen: Zuletzt ist ein siebenjähriges Kind verstorben, da bleiben Narben. Da gibt es keinen Trost.
Eine kurze Geschichte der Organspende
Seit zirka 50 Jahren werden Organtransplantationen durchgeführt. 1883 wurde zum ersten Mal Schilddrüsengewebe verpflanzt. 1906 gelang die erste Nierentransplantation an Tieren. 1994 transplantierte der amerikanische Chirurg Joseph E. Murray die erste Niere an eineiigen Zwillingen. Fünf Jahre später gelang es bei genetisch verschiedenen Personen. 1967 gab es die erste Herztransplantation in Kapstadt. Der Patient überlebte 18 Tage.
STATISTIK Organspende in Deutschland 2016
- Durchgeführte Organspenden: 857
- Postmortal durchgeführte Organspenden: 2.867
- Transplantierte Organe: 3.049
- Davon 297 Herzen, 228 Lungen, 1.497 Nieren, 826 Lebern, 75 Pankreas und 4 Dünndärme
- Transplantierte Organe nach einer Lebendspende: 647
- Im Jahr 2016 wurden durchschnittlich 3,3 Organe pro Spender entnommen und transplantiert.
- Organspender im Eurotransplant-Bereich: 2.021
- Organspender in Deutschland: 834
- Menschen auf der Warteliste: Niere 10.476; Herz 1.097; Lunge 782; Leber 1.636
- In Deutschland standen 2016 702 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderherz!
Quelle: https://www.organspende-info.de/infothek/statistiken
LINKS
Deutsche Stiftung Organtransplantation
Infoseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Westfalenpost über Günter Breitenberger
Lebensritter
Selbsthilfe Organtransplantierter NRW
Westfalenpost 21.11.2017 über Günter Breitenberger
Mehr über das “Team blau-grün” und außergewöhnliche Mitarbeiter
MTB-Profi Ben Zwiehoff zwischen Büro und Bike
BILD- UND VIDEOHINWEISE
Video „Günter Breitenberger“: © GELSENWASSER AG
Fotos “Günter Breitenberger privat”: © Familie Breitenberger, © GELSENWASSER AG
Organ Herz in Hand: © fotolia.com / #182228659 / Urheber: luuuusa
Sehr bewegend und erfreulich, dass es dem Kollegen wieder gut geht!
Hallo Herr Breitenberger,
habe Ihren Bericht über Ihre Odyssee mit größtem Interesse gelesen ! Das hat mich sehr ergriffen. Dabei sind mir die meine eigenen Erinnerungen wieder überdeutlich geworden. Auch ich hatte durch eine verschleppte Lungenentzündung mein Herzpumpleistung bis auf ein Minimum verloren. Nach Jahren der Krankheit habe ich – wie Sie – in Bad Oeynhausen ein Spenderherz erhalten und dadurch ein “neues Leben” beginnen können. Mein neuer Geburtstag jährt sich nun zum vierten Mal – am 14. Februar, dem Tage des Geburtstags meiner Tochter. Mir geht es seitdem wieder sehr gut – ich hoffe Ihnen auch.
Einen lieben Gruß
Clemens Göbel
Hallo Herr Göbel,
vielen Dank für Ihre Antwort zu meiner Geschichte. Ja ich habe auch ein neues Leben begonnen, ich mache seit dem vieles anders und manches intensiver und einiges neue.
Auch ja mir geht es gut, bis auf eine Erkältung, die mich momentan etwas quält. Während der Zeit mit meinem VAF-System habe ich mich schon für die Organspende eingesetzt, und jetzt nach meiner Transplantion habe ich meine Aktivitäten noch verstärkt. Ich bin Mitglied in der “Selbsthilfe Organtransplantierter NRW “, Wenn Sie Lust haben, dann schauen Sie doch mal auf unsere Internetseite. Wir veranstalten monatliche Treffen und organisieren auch Infoveranstalltungen rund um das Thema Transplantation.
Ich meine natürlich VAD-System.
Viele Grüße Günter Breitenberger