Auf dem Halterner Stausee treibt ein blau-grünes Monstrum sein Unwesen. Gegen dessen Zähne und Appetit ist „Nessie“ nichts. Bei dem Ungeheuer handelt es sich um den Schneidkopfsaugbagger von Gelsenwasser.
52 Meter lang, 8 Meter breit und 320 Tonnen schwer: Auf dem Halterner Stausee schwimmt ein blau-grünes Monstrum. 54 Zähne, jeder 20 Zentimeter lang, hat sein furchterregendes Gebiss. Doch wer genauer hinschaut, der erkennt: Das Ungeheuer von Loch Ness ist nicht etwa umgezogen. Bei dem Koloss handelt es sich um den Sandbagger von Gelsenwasser.
Ein Mann ist nötig, um das Halterner Ungeheuer zu zähmen. Hoch oben im Führerhaus steuert er den Schneidkopf mit seinen 54 Zähnen. Per GPS kann der Baggerführer – es gibt drei, die sich den Job teilen – die exakte Position bestimmen und weiß so genau, wo sich das Monstrum wie tief durch den Seeuntergrund fressen darf. Maximal auf 15 Meter Tiefe, dann ist Schluss.
Damit beim Ausbaggern alles exakt nach Plan verläuft, haben wir den Stausee in viele, jeweils400 Meter lange Felder eingeteilt. In jeder Baggerstellung wird etwa einen 40 Meter lange Strecke zurückgelegt. Grundsätzlich wird in mehreren Phasen gebaggert – zuerst von sieben auf elf Meter, dann auf 13 Meter und zuletzt bis auf 15 Meter. Und es wird immer ausreichend Abstand zum Ufer gehalten.
Nicht immer ist der Job für das elfköpfige Team der Sandbaggerei Routine. Zum Beispiel riss schon mal eines der fünf Ankerseile, die den Bagger in Position halten. Es dauerte einen ganzen Tag, das Stahlseil auszutauschen. Drei Kollegen sind auf dem Sandbagger und fahren im Wechsel in der Tagesschicht. Der Rest des Teams ist auf dem Arbeitsboot, den Spülfeldern und in der Werkstatt unterwegs.
Alles, was der Schneidkopf am Seeuntergrund „ausbuddelt“, wird mit einer riesigen Pumpe in den Bauch des Kolosses gefördert. Aber immer wieder „frisst“ das Monstrum große Steine mit. Es wurde sogar mal eine Stein-Strichliste geführt. Werden Steine „verschluckt“, muss der Bagger stoppen. Dann entfernt ein Kollege im Maschinenraum die Steine. Manchmal kommt das mehrfach am Tag vor.
Zwei Pumpen bilden das Herz des Sandbaggers
Die zwei Pumpen bilden das Herz des Kolosses, Teile von ihnen sind schon seit 1959, dem Baujahr des Baggers, im Einsatz. Auch wenn viele Originalteile bei einem großen Umbau 1995 ersetzt wurden – einiges auf dem Bagger stammt immer noch von 1959. Neben Pumpenteilen erinnert zum Beispiel das Telefon im Maschinenraum an Zeiten, in denen es noch keine Handys gab. Und auch die Spulen, auf denen die dicken Stahlseile für die Anker und den Schneidkopf aufgerollt werden, sind schon Jahrzehnte in Betrieb. Der Schneidkopf ist zirka 1,80 Meter groß im Durchmesser. Seine Zähne müssen wir regelmäßig austauschen, denn der Sand reibt sie ab. In der Werkstatt, direkt am Seeufer, erhalten die Zähne eine neue „Krone“, dann kommen sie wieder ins „Monster-Gebiss“. Dann sind sie scharf genug, um sogar „Abdrücke“ in dicken Steinbrocken zu hinterlassen.
Bewegt wird der Bagger mit Stahlseilen und Winden
Sand, Lehm und Wasser, aber auch Steine und Pflanzenreste – das „Monstrum“ hat großen Appetit. Mit der riesigen Pumpe im Maschinenraum wird alles, was der Schneidkopf mit seinem Gebiss „verschluckt“, aus der Tiefe geholt und fließt dann – mit Seewasser vermischt – durch eine Rohrleitung ans Seeufer auf die Spülfelder. Bis zu 3.000 Meter ist diese Leitung lang, die durch Pontons an der Wasseroberfläche gehalten wird und vom Ufer gut sichtbar ist. Wer mal direkt neben der Leitung ist, kann gelegentlich das Klacken der Steine hören, wenn sie gegen die Wände rumpeln.
War es windig oder stürmisch, geht an der Leitung schon mal etwas kaputt. Dann rücken unsere Kollegen mit dem Arbeitsboot aus und reparieren die SChäden. Oder sie tauschen das, was kaputt ist, direkt aus. Alles vom Boot aus, das ist oft nicht leicht. Die meisten „Ersatzteile“ baut das Team der “Sandbaggerei” selbst: Da wird auch schon mal Kniffeliges konzipiert, geschweißt und gelötet.
Genauso lang wie die Leitung ist übrigens das wasserdichte Stromkabel, das dem gefräßigen Koloss die nötige Energie liefert. Das ist an Bojen befestigt. Verändert der Bagger seine Position, müssen Stromleitung und Rohre mitwandern. Dabei hat der Bagger keinen eigenen Motor. Stattdessen ist er mit Stahlseilen an fünf Ankern im Stausee befestigt. Muss der Bagger bewegt werden, werden die Anker versetzt und der Bagger mithilfe von Stahlseilwinden in die jeweilige Richtung gezogen.
Der ausgebaggert Sand landet später unteranderem auf den Versickerungsbecken im Wasserwerk Haltern. Er ist essentiell für die künstliche Grundwasseranreicherung und die Langsamsandfiltration.
Verbesserung der Wasserqualität durch mehr Tiefe
Die Sandgewinnung ist nicht der primäre Grund, warum der Schneidkopfsaugbagger auf dem Stausee eingesetzt wird. Der Sand ist nur ein Nebenprodukt. Wichtiger ist es, durch die Vertiefung des Stausees die Wasserqualität zu verbessern bzw. die stabilere Verhältnisse zu schaffen. Mehr Tiefe bedeutet einen größeren Wasserkörper, was wiederum eine stabilere, längere Schichtung bewirkt. Dadurch wird es weniger Nährstoffe in der Tiefe geben – und damit weniger Algenbildung/ -dichte. Die positiven Auswirkungen auf den Sauerstoffgehalt in der Tiefe sorgen dafür, dass sich Organismen, Fische und anderen Tiere im Stausee wohler fühlen.
Zusätzlicher Schallschutz für den Schneidkopfsaugbagger
Am 19. März 2019 erhielt das Baggerschiff einen Schallschutz. Eine extra konstruierte Metallhülle wurde über dem Hauptmotor montiert. So wird der Lärm, wenn der Bagger arbeitet, reduziert. Gelsenwasser hat das freiwillig gemacht. Nach Anwohnerbeschwerden hatten Messungen gezeigt, dass die Betriebsgeräusche innerhalb der erlaubten Schallwerte liegen.
Die Kosten für die Schallhülle lagen bei rund 10.000 Euro.

Schallschutz für den Schneidkopfsaugbagger auf dem Halterner Stausee: Eine große Metallhülle wird über dem Hauptmotor montiert.
Acht Stunden “Fressen” pro Tag = bis zu 2.300 Kubikmeter
Acht Stunden täglich „frisst“ sich das „Monstrum“ werktags auf dem Grund des Halterner Stausees satt. Nur am Wochenende ruht es sich aus. Bei so viel „Fresszeit“ kommt einiges zusammen: Zwischen 500 und 2.500 Kubikmeter des Wasser-Sand-Gemischs fördert der Bagger am Tag. Je nachdem, wie die jeweiligen Bodenschichten beschaffen sind und ob der Betrieb wegen Steinen mal angehalten werden muss.
Neben dem Gelsenwasser-Bootshaus führt die Druckrohrleitung (DN 400) an Land. 16 Höhenmeter müssen überwunden werden, dementsprechend muss Druck auf der Leitung sein. Wer sich still neben das Rohr stellt, kann sogar das „Rumpeln“ kleinerer Steine hören. Die Rohrleitung führt dann vom Seeufer weiter in die „Halterner Sahara“. So werden die Spülfelder in der Westruper Heide oft genannt. Dort steht man am Ende der Leitung vor einer kleinen Sandwüste. Das „Gemisch“ spritzt auf ein Spülfeld. Die sind so groß wie mehrere Fußballfelder undleicht abschüssig, so dass sich das Wasser in einer Senke sammelt. Der Sand setzt sich am Boden ab. Und das Wasser fließt in die Senke und wird von dort wieder zurück in den Stausee geleitet.Zurück bleibt der Sand, Berg neben Berg.
Die berühmten Halterner Sande werden verkauft, in der Baubranche sind sie sehr begehrt, zum Beispiel bei der Zementherstellung. Ein Teil landet aber ganz in der Nähe. Und zwar im Wasserwerk Haltern: auf den Versickerungsbecken.
FOTOS
© GELSENWASSER AG
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Ich wusste nicht, dass man sogar Bagger im Wasser für den Sandboden verwenden kann. Kaum zu glauben dass die “Zähne” regelmäßig ausgetauscht werden müssen. Ich hoffe, sie kommen auch mal zu See in unserer Nähe, der hätte es nötig.
Interessant zu wissen, dass zwei Pumpen im Herzen des Sandbaggers liegen. Mein Neffe hat seit frühem Kindesalter Lust darauf, mit Spielzeugen von Baggern zu arbeiten. Er würde deshalb gerne eine Ausbildung im Bereich der Baggerkontrolle machen.