Die EU hat sich auf ein Öl-Embargo geeignet. Ein Gas-Embargo könnte folgen. Welche Auswirkungen hätte das für die Energieversorgung in Deutschland?
Am 31. Mai einigte sich die Europäische Union nach vier Wochen mit zähen Verhandlungen auf einen Boykott russischen Öls, das per Schiff in die EU gebracht wird. Ausgenommen ist die „Druschba“-Pipeline, durch die weiterhin Öl nach Europa fließen darf. Deutschland wird (wie Polen, Tschechien und Slowenien) auf Entnahmen aus dieser Pipeline verzichten. Dann wird nur noch Ungarn via „Druschba“ versorgt. Damit würde die Menge des aus Russland eingekauften Öls um 90 Prozent sinken. Der Schritt wird Russland empfindlich treffen – aber den Krieg beenden wird er nicht. Und: Er trifft auch Europa, das gehört zur Wahrheit dazu. Der Blick der Medien wird sich dennoch schnell auf die nächste Stufe richten, die Frage nach einem Gas-Embargo.
Das Unbeherrschbare beherrschen
Bereits am 30. März 2022 wurde durch Bundesminister Dr. Robert Habeck die Frühwarnstufe für die Gasversorgung in Deutschland ausgerufen. Ziel dieser ersten von drei eskalierenden Stufen ist es, Energieversorger und Bevölkerung für eine mögliche Energiemangellage zu sensibilisieren und durch Maßnahmen einer solchen möglichst schon entgegenzuwirken.
Die Wirkung des Schrittes ist weitgehend verpufft, nennenswerte Veränderungen im Verbrauch sind bis dato nicht zu verzeichnen. Seitdem arbeiten die Bundesnetzagentur und das Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz daran, mit vielen Daten und Maßnahmen eine Lage in den Griff zu kriegen, die schlicht nicht in den Griff zu kriegen ist.
Haushaltskunden könnten erheblich betroffen sein
Im Falle einer Einschränkung der Gaslieferungen aus Russland wird die Gasbranche nicht mehr in der Lage sein, alle Gaskunden zu versorgen. Zur Gruppe der nach Gesetz besonders „geschützten Kunden“ gehören neben Haushaltskunden beispielsweise auch soziale Dienste und Gesundheitswesen.
Berücksichtigt man das Verhältnis der russischen Gaslieferungen zum Gesamtverbrauch in Deutschland, dann kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch geschützte Kunden von Liefereinschränkungen erheblich betroffen sein können. Das könnte dann auch Haushaltskunden betreffen.
Im Umkehrschluss gehören Industrie und Großgewerbe zu den nicht schützenswerten Kunden. Für den Industriestandort Deutschland und die damit verbundenen Arbeitsplätze hätte eine Abschaltung erhebliche Auswirkungen. Viele Industrien wie Glas, Papier oder Aluminium und gerade die Chemie können ihren Betrieb ohne Prozessgas nicht aufrechterhalten. Manche Maschinen müssen komplett abgeschaltet werden.
Die tatsächlichen Auswirkungen bei einer Einschränkung der russischen Gaslieferungen können aufgrund der riesigen Dimension aktuell nicht zuverlässig prognostiziert werden.
Gas-Embargo bedeutet eine schwierige öffentliche Debatte
Politische Entscheidungen müssen auch bei medialem Gegenwind neben den außenpolitischen Fragen die schwerwiegenden Fakten für die deutsche Bevölkerung als Grundlage haben. Ob ein Versiegen der Energiezahlungen infolge eines Gas-Embargos den furchtbaren Krieg in der Ukraine beenden würde, kann nicht eindeutig beantwortet werden.
Auch noch Anfang Juni spricht sich die Bundesregierung eindeutig gegen ein Gas-Embargo aus. Die jüngste Embargo-Entscheidung der europäischen Mitgliedstaaten, die auch von der Bundesregierung getragen wird, bezieht sich nach der Kohle lediglich auf russisches Öl. Das ist deutlich leichter am Weltmarkt zu ersetzen und hat eine vergleichbar geringe Auswirkung auf die Versorgung und auch die Wirtschaft in Deutschland. Die Mengen werden nun – hoffentlich zumindest zu gesenkten Preisen – anderweitig durch Russland verkauft werden. Das sind die Logiken des Marktes.
Auch von Seiten der russischen Regierung sind aktuell keine verdichteten Zeichen für ein Gas-Embargo zu erkennen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen um die Menschrechtsverletzung in den Vororten von Kiew ist eine Dynamik, die zu einer solchen politischen Entscheidung führen könnte, aber nicht gänzlich auszuschließen.
Fazit: Wir müssen versuchen, die Lücke zu schließen
Auch wenn wir ein Gas-Embargo mit keiner Maßnahme ausgleichen können, können wir doch mit jeder eingesparten Kilowattstunde Energie die Lücke ein kleines bisschen schließen. Die Untersuchungen zum Potenzial sind unterschiedlich und reichen bei Einhaltung eines Tempolimits, Senkung der Temperatur (mit Wirkung allerdings erst im Winter) und weiteren Maßnahmen auf immerhin mehrere Prozent.
Wenn wir es ernst meinen mit der Solidarität, sollten wir von heute an Sprit, Gas, Wärme, Energie und vor allem Strom sparen. Und wir könnten eine ernsthafte Debatte führen, über den wirklich nötigen Verbrauch und Konsum von Waren. Muss jede Produktion den Sommer über durchlaufen? Braucht jedes Freibad seine jetzige Wassertemperatur?
Langfristig machen auch solche Beiträge den Unterschied aus, um unsere Abhängigkeit von Importen etwas zu verringern. Und helfen außerdem dem Klima. Spätestens das Ausrufen der zweiten Stufe wird hoffentlich nicht im Allgemeinen Mediensog zwischen Waffenlieferungen und politischer Vergangenheitsbewältigung untergehen. Sondern dazu führen, dass wir uns zu dem aufraffen, was wir tatsächlich selbst in der Hand haben.
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GLASKLAR mit Dietmar Brockes über die Energiepolitik in NRW
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LINKS
https://www.tagesschau.de/ausland/eu-oel-embargo-scholz-101.html
https://www.tagesschau.de/kommentar/eu-oel-embargo-103.html
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-oel-teilembargo-101.html
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Vielen Dank für den Artikel! Aufgrund der aktuellen Lage mache ich mir schon sehr große Sorgen aus Haushaltskunde. Da ich von unserer Firma für die Gasversorgung noch nichts gehört habe, ist es gut zu wissen, dass es schwierig ist, zuverlässige Prophezeiungen aufzustellen. Es scheint so, als würden wir einfach abwarten müssen.