Die Energiewende ist ein Wechselspiel zwischen Erfolg und Verdrossenheit. Die Dekarbonisierung der Sektoren entwickelt sich sehr unterschiedlich.

Ein genauer Blick in die einzelnen Sektoren und Branchen zeigt, dass es Fortschritte gibt. Sie können in diesem Wechselspiel zwischen Verdrossenheit und Erfolg das Barometer in die positive Richtung ausschlagen lassen. Wir haben uns die Top7-Themen zur Energiewende und ihren Status quo genauer angeschaut.

1. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien kommt recht gut voran

2023 stiegt der Anteil der Erneuerbaren Energien am gesamten erzeugten Strom laut Bundesnetzagentur auf 56 Prozent (2022: 47,4 Prozent).*** Ihr Anteil am Stromverbrauch (der Netzlast) betrug 55,0 Prozent (2022: 48,4 Prozent). Der Positivtrend setzt sich sogar in den „Dunkelflaute-Monaten“ des Winters fort: Von Oktober 2023 bis Februar 2024 erreichten die Erneuerbaren Energien einen Anteil von 57,9 bis 64,6 % an der Stromproduktion.*
Auch das Abschalten der Atomkraftwerke haben wir 2023 ohne merkbare negative Auswirkungen gemeistert. Das Ziel, 2030 einen Anteil von 80 % Erneuerbarer Energien an der Stromproduktion zu erreichen, scheint mit Blick auf die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre realistisch und machbar.

 

Grafik: Energieträgeranteile an der Gesamterzeugung 2023

© Bundesnetzagentur | SMARD.de

2. Photovoltaik ist eine Erfolgsgeschichte

Bei PV wird am ehesten ersichtlich, wie erfolgreich „grüne Energie“ sein kann. 2023 gab es einen „Solarboom“, die Ausbauziele wurden deutlich übertroffen. Mehr als 1 Mio. neue Solaranlagen sind laut Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) letztes Jahr installiert worden. Daten der Bundesnetzagentur dazu zeigen, dass Solarstromsysteme mit einer Spitzenleistung von ca. 14 Gigawatt auf Dächern und Freiflächen neu in Betrieb genommen wurden. Das sind 85 Prozent mehr Photovoltaik-Leistung als 2022 (rd. 7,5 GW). Die hierzulande installierten rund 3,7 Millionen Photovoltaik-Systeme produzierten letztes Jahr 62 Milliarden Kilowattstunden und deckten damit rund 12 Prozent des deutschen Stromverbrauchs.**
Die Einspeisung durch Photovoltaik blieb laut Bundesnetzagentur 2023 auf dem Niveau des Vorjahres (-0,1 Prozent). Die sonnenärmere Witterung nach dem Rekordjahr 2022 wurde dabei durch den starken Leistungszubau in 2023 kompensiert.***

Photovoltaik boomt

© Bundesverband Solarwirtschaft (BSW)

Der BSW rechnet damit, dass der Solarboom 2024 weitergeht. Das Ziel: Bis 2030 sollen in Deutschland Solaranlagen mit einer elektrischen Gesamtleistung von 215.000 MW auf Dächern installiert und auf Freiflächen aufgestellt sein.

3. Windkraft muss noch eine Erfolgsgeschichte werden

2023 leisteten Windkraftanlagen – vor allem an Land – den größten Beitrag zur grünen Stromerzeugung. 2023 wurden 745 Windenergieanlagen (WEA) an Land mit 3.567 Megawatt (MW) installierter Leistung errichtet. Insgesamt gibt es jetzt 28.677 WEA mit einer kumulierten Leistung von rund 61.000 MW in Deutschland. Der Windkraft-Ausbau hinkt den Zielen weiterhin hinterher. Aber es ist ein leichter Aufwärtstrend zu sehen. ******

Windkraftanlagen sind entscheidend für die erfolgreiche Energiewende, da sie auch im Winter, wenn der Strombedarf für die Wärmeversorgung steigt und wenig PV-Strom erzeugt wird, eine hohe Stromproduktion aufweisen.

Grafik: Erteilte Genehmigungen für Windkraftanlagen in Deutschland

© Agora Energiewende

Mit dem neuen „Wind-an-Land-Gesetz“ der Bundesregierung sollen sich die Bedingungen verbessern und jedes Jahr bis zu 10 Gigawatt (GW) mehr Leistung installiert werden. Ob die veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen den Windkraft-Ausbau stärken, wird sich erst noch zeigen: Es dauert fünf Jahre, bis eine Windkraftanlage in Betrieb gehen kann.
Klar ist: An der Windenergie führt kein Weg vorbei. Sie muss eine Erfolgsgeschichte werden. Ohne ist die Energiewende nicht zu schaffen.

4. Bei der Wärmewende ist viel Luft nach oben

Die Wärmewende ist das „Sorgenkind“ der Energiewende. Dass es ausgerechnet einem so großen Sektor wie dem Gebäudebereich hakt, ist fatal. Gesellschaftliche Akzeptanz und Motivation haben durch Krieg, Kostenanstiege (z.B. Erdgas) und Heizungsgesetz-Debakel gelitten.
Mehr als ein Drittel des gesamten Energiebedarfs in Deutschland wird zum Heizen und zur Warmwasser-Versorgung verbraucht. Die Wärmewende ist daher entscheidend, um bis 2045 klimaneutral zu werden.
Dementsprechend wurden die CO2-Minderungs-Vorgaben in den letzten beiden Jahren deutlich verfehlt. 2022 lagen die Emissionen des Gebäudesektors bei 113 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten – fünf Millionen Tonnen über dem Sektorziel (Agora Energiewende 2023). Die CO2-Emissionen müssten – laut Expertenrat für Klimafragen – bis 2030 im Schnitt bei 5,1 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente liegen, um die Klimaschutzziele noch zu erreichen. Drei Mal höher!
Auch wenn der Anteil der Wärmepumpen und der Ausbau der Fernwärme bei Neubauten steigen: Durch die langen Investitionszyklen und die hohen Kosten bleibt der Wandel im Gebäudesektor eine große Herausforderung. Hoffnung macht die Entwicklung neuer Heizungstechnologien. Moderne Wärmenetze und Wärmepumpen werden weiterentwickelt, was Effizienz und Kosten der System immer weiter verbessern wird.

© Agora Energiewende

5. Netzausbau & Stromspeicher

Keine Energiewende ohne die nötige Infrastruktur: Schwerpunktmäßig wird das bestehende Stromübertragungsnetz ausgebaut und ein Wasserstoffkernnetz aufgebaut.
Bis 2045 werden ca. 310 Mrd. Euro in den Ausbau des Stromübertragungsnetzes von 37.000 auf 71.000 Leitungskilometer auf Land und an See investiert. Die konkreten Pläne dazu finden sich im Netzentwicklungsplan Strom. Der Netzausbau verlief 2023 schleppend, 2024 dürfte sich der Ausbau beschleunigen, da vergangenes Jahr viele Genehmigungsverfahren in Gang gesetzt wurden.

© Agora Energiewende

Für die 9.700 Kilometer Wasserstofffernleitungen im Wasserstoffkernnetz werden 20 Milliarden Euro investiert. Gebaut werden soll bis 2032.
Positiv verläuft die Entwicklung bei den Stromspeichern. Sie werden besser und günstiger. Der Absatz wird daher in den kommenden Jahren weiter steigen. Bei der Installation von Solarmstromspeicher sind hierzulande Wachstumsraten von durchschnittlich 70 % zu verzeichnen. Bis 2030 kann es demnach 15 Mio. installierte PV-Speicher in Deutschland geben. Bei gleichzeitig steigender Kapazität pro Speicher und Speichern in E-Autos, die nicht mit eingerechnet sind, werden enorme lokale Speicherkapazitäten in den Netzen zur Verfügung stehen. Die Kapazität von aktuell 4 GWh dürfte dann 2030 tatsächlich die etwa benötigten 100 GWh (laut Fraunhofer ISE) erreichen.

6. Die Verkehrswende ist das zweite Sorgenkind

Der Verkehrssektor ist das zweite Sorgenkind der Energiewende. 2023 wurden die Klimaschutzziele laut Agora zum dritten Mal in Folge verfehlt. Der Anteil erneuerbarer Energien im Verkehr hat sich laut Umweltbundesamt nicht deutlich erhöht.****** Der Verkehrssektor bleibt der Sektor mit dem geringsten Anteil an erneuerbaren Energiequellen.
Zwar gibt es eine leichte Steigerung bei der Gesamtanzahl von Elektroautos: Stand 1. Januar 2024 fuhren 1.408.680 Mio. Elektroautos auf deutschen Straßen, 2023 waren es 1.013.009; 2022 noch 618.460 (Statista). Doch prozentual stagniert der Anteil Elektroautos an den Neuzulassungen (ca. 18 %). Bis 2030 sollen mindestens 15 Millionen E-Autos auf unseren Straßen rollen, inklusive nötiger Ladeinfrastruktur. Dazu müssten ab sofort zwei von drei Neuzulassungen elektrisch sein.

Laut Agora werden daher die erforderlichen Emissionsminderungen im Verkehrssektor ohne zusätzliche Instrumente nicht zu erreichen sein! Positiv werden sich die stark sinkenden und technisch weiterentwickelten Batterien auswirken. Dadurch werden nicht nur, wie aktuell schon, die Gesamtkosten über den Lebenszyklus eines E-Autos unter denen eines Benzinautos liegen, sondern schon die Anschaffungskosten.

7. Gaspreis, Strompreise & Netzentgelte – es wird günstiger

Die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise mit extremen Preisspitzen scheint überwunden. Die Preise für Gas sind mittlerweile nur noch halb so hoch, wie vor dem Kriegsausbruch und auf einem sehr niedrigen Niveau.
Auch der Strompreis hat sich wieder stabilisiert und liegt 30 % unter dem Niveau vor Kriegsbeginn. Generell wird Strom günstiger, je besser die Energiewende gelingt, und wenn der Strom lokal gehandelt wird. Je mehr Strom lokal erzeugt, gespeichert und verbraucht wird, desto mehr verringern sich die Kosten, zum Beispiel für den Netzausbau. Variabel gestaltete Netzentgelte können weitere Anreize schaffen. Engpässe werden durch lokal hohe Preise sichtbar – was wiederum Anreize vor Ort schafft, Energieanlagen und Speichermöglichkeiten auszubauen.

 

 


FOTOS
Titelbild: © Adobe Stock  / #656556669 / ThomBal

QUELLEN
* SMARD
** BSW
*** Bundesnetzagentur
**** BWE
****** Umweltbundesamt

WEITERE
Agora: Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2023
Energiemonitor Zeit Online

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